Seit über fünf Monaten versuchen die Richter in Koblenz zu rekonstruieren, was im Sommer 2009 tatsächlich passiert ist, als die damalige Landesregierung mit dem Geld eines Privatinvestors und den Geldern der Steuerzahler aus dem Nürburgring einen hochmodernen Erlebnispark machen wollten. Richtig teuer wurde es für den Steuerzahler in dem Moment, als die Zusammenarbeit mit dem Privatinvestor auf spektakuläre Weise scheiterte. Nun obliegt es den Richtern herauszufinden, ob sich die Angeklagten, unter ihnen auch der ehemalige Landesfinanzminister Ingolf Deubel, der Veruntreuung von Steuern schuldig gemacht haben. Einigen Angeklagten werden jedoch gleich mehrere kriminelle Vergehen zur Last gelegt.
Nun scheint der Prozess jedoch an einem Wendepunkt angekommen zu sein. Bereits vor Wochen wurden erste Zweifel daran laut, ob die Staatsanwaltschaft für ihre Vorwürfe auch über ausreichende Beweise verfügen würde. Jetzt hat es den Anschein, als würde sich ihr größter Trumpf, Michael Nuß, als wertlos erweisen. Nuß war seiner Zeit Kontrolleur bei der staatseigenen Nürburgring GmbH und steht seinerseits ebenfalls als Angeklagter vor Gericht. Im Vorfeld hatte Nuß der Staatsanwaltschaft in Gesprächen ausreichend Material für eine Anklage geliefert. Ohne diese Aussagen hätte keine Anklage stattfinden können. Nun stellt sich aber die Frage, was, wenn Nuß gelogen hat?
Nuß, der Deubel in seinen Aussagen schwer belastet hat, wird von Deubel als Lügner beschimpft. So soll der ehemalige Landesfinanzminister derjenige gewesen sein, der die meisten verhängnisvollen Entscheidungen getroffen haben soll. Auch wenn Deubel lediglich als Aufsichtsrat der Nürburgring GmbH fungierte, sollen mehrfach detaillierte Anordnungen durch ihn erteilt worden sein. Faktisch habe Deubel die Geschäfte der GmbH geführt.
Wer hat wann wovon gewusst?
Die Suche nach einem geeigneten Investor gestaltete sich schwieriger als erwartet. Der Schweizer Urs Barandun war es schließlich, der den Kontakt zu einem amerikanischen Financier vermittelte. Es sollte ein kompliziertes Finanzierungsmodell umgesetzt werden, das von Normann Böhm und Michael Merten, zwei Geschäftsleuten, vorgeschlagen worden war.
Im Sommer 2009 trafen sich Michael Nuß, Hans Lippelt, Prokurist der Nürburgring GmbH, Normann Böhm und Urs Barandun in Zürich. Im Rahmen dieses Treffens überreichte Barandun den Mitarbeitern der Nürburgring GmbH einen Scheck über 67 Millionen Dollar als ersten Teil einer weitaus höheren Summe. In einer schriftlichen Vereinbarung wurde festgehalten, dass die Nürburgring GmbH eine Provision in Höhe von vier Millionen Euro an das Unternehmen von Merten und Böhm zahlen sollte und zwar innerhalb von 48 Stunden nach Einreichung des Schecks.
Der Scheck platzte, Deubel war gezwungen, zurückzutreten und der Traum vom Erlebnis Nürburgring war ausgeträumt. Die Frage, wer so blauäugig gewesen war, eine Provision für einen nicht geprüften und auch nicht eingelösten Scheck zu garantieren, ließ nicht lange auf sich warten.
Unterschrieben ist die Provisionsvereinbarung von Böhm, Barandun, Nuß und Lippelt und liegt der „Zeit“ vor. Gegenüber der Staatsanwaltschaft behauptet Nuß jedoch, er habe die Vereinbarung erst einige Zeit später im Taxi auf dem Weg zum Flughafen unterzeichnet. Zu diesem Zeitpunkt will der mit Deubel telefoniert haben, um ihm seine Bedenken mitzuteilen, der diese jedoch nicht hören wollte und Nuß zur Unterschrift aufgefordert haben soll. Eben dieses Vorgehen wird Deubel von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen. Mit der von ihm gegebenen Anweisung habe er sowohl das Vermögen des Unternehmens gefährdet, als auch sich selbst der Veruntreuung schuldig gemacht. Für diesen Tatbestand drohen bis zu fünf Jahre Haft. Die Vorwürfe werden von Deubel entschieden bestritten.
Fakt ist, einer von beiden sagt nicht die Wahrheit, aber wer? Ein Motiv zu lügen, hätten beide Männer. In Deubels Interesse würde eine Verhinderung eines Urteils liegen, für Nuß eventuell die Aussicht straffrei auszugehen.
Entscheiden ist, wann Nuß die Vereinbarung tatsächlich unterschrieben hat. Der einfache Weg wäre, man fragt einfach diejenigen, die bei dem Termin anwesend waren, Lippelt, Barandun und Böhm. Da sich aber alle derzeit mit Vorwürfen konfrontiert sehen, dürfen sie schweigen, um sich nicht selbst zu belasten.
Während Barandun vor Kurzen vor dem Koblenzer Landgericht als Zeuge die Aussage verweigerte, hatte er einen Tag zuvor noch ein Radiointerview gegeben. Gegenüber dem „SWR“ lobte er sein ausgezeichnetes Erinnerungsvermögen und gab dann weiter an, dass sämtliche Verträge und Protokolle ohne jegliche Ausnahmen von allen Anwesenden vor Ort unterschrieben wurden. Das steht in einem klaren Widerspruch zu der Version von Nuß.
Durch seinen aktuellen Verteidiger Philipp Grassl, Rechtsanwalt in Koblenz, teilte Nuß der „Zeit“ mit, dass Baranduns Äußerungen im Grundsatz richtig wären, dennoch habe es Ausnahmen gegeben, zu denen auch die Unterzeichnung der Provisionsvereinbarung gehört haben soll. Im Rahmen der Nürburgring-Affäre gehört Barandun ohne Zweifel zu den undurchsichtigen Personen. Aber auch er bestreitet bis heute jegliches kriminelles Verhalten. Doch seine Aussage in dem Interview und die Tatsache, das der „Zeit“ eine weitere Aussage vorliegt, die besagt: Nuß hätte die Vereinbarung doch bereits im Hotel unterzeichnet und nicht erst im Taxi, geben mehr als genug Anlass zum Zweifeln, auch wenn die Quelle der „Zeit“ nicht genannt werden möchte.
Nicht die ersten Zweifel
Vonseiten der Staatsanwaltschaft war man nicht bereit, sich über die Glaubwürdigkeit von Nuß zu unterhalten. Obwohl es sich hier nicht um die ersten Zweifel handelt, die an der Version von Nuß zutage treten. Während er seine Person in seinen Aussagen immer als denjenigen präsentiert, der gewarnt hat, lassen Emails, die sich in den Akten befinden und von Nuß versendet worden, ganz andere Schlüsse zu.
So soll Nuß über den Scheck, den er in Zürich erhalten hat, per E-Mail berichtet haben, dass sich in „Bezug auf die Deckung, die Verfügbarkeit und auch die Zahlung ein plausibles Bild ergeben habe“. Nur Tage später war der Scheck geplatzt.
Am Anfang sah alles ganz einfach aus. Ein staatliches Vorzeigeprojekt, undurchsichtige Gestalten, Intrigen auf der politischen Ebene und ein Finanzminister, dem die Sache über den Kopf gewachsen ist. Mittlerweile ist nichts mehr einfach und schon gar nicht eindeutig. (FR/BHB)