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Stressymptome am Arbeitslatz (2)

Als die Krise begann, mehrten sich besonders Klagen aufgrund von Bonuszahlungen. Ansonsten wurden Arbeitsgerichtsprozesse davon wenig beeinflusst. Hier, so Schmidt, trat aber nun bei den Unternehmen eine finanzielle Situation ein, aufgrund derer sie keine Bonuszahlungen mehr tätigten.


Stressymptome am Arbeitslatz (2)

Plötzlich sind die Defizite von Vereinbarungen sehr deutlich zu Tage getreten, denn sie sind – in Form einer Zielvereinbarung – kaum justiziabel. Der Grund ist, dass die Ziele kaum kontrollierbar oder messbar sind. Zu dieser Zeit beschäftigten sich dann eine Menge jener Arbeitnehmer mit einer Klage, die sonst überhaupt nicht an einer arbeitsgerichtlichen Klärung interessiert sind.

Im Gespräch wird die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts damit konfrontiert, dass das Bundesarbeitsministerium während dieser Legislaturperiode nur wenig am Arbeitsrecht geändert hat und es noch immer eine große Zahl von Regelungen beinhaltet, die wegen einiger Grundsatzurteile gar nicht angewendet werden können, sich aber dennoch im Gesetz befinden. Ihrer Ansicht ist das eigentliche Problem die Undurchschaubarkeit der Gesetze. Jeder Bürger solle die Chance haben, seine Rechte und Pflichten aus den Gesetzen abzulesen, die deshalb unmissverständlich sein müssen. Dazu müssen sie an die Rechtsprechung des EuGH und ans Unionsrecht angepasst werden.

Dabei kommt Frau Schmidt das Thema der Kündigungsfristen bei jüngeren Mitarbeitern in den Sinn: Hier steht eine Regelung im deutschen Gesetz, die nicht angewendet werden darf. Sie ist immer noch enthalten, weil der Gesetzgeber sie noch nicht gestrichen hat. Mittlerweile weisen schon Verlage darauf hin, wenn sie Gesetzessammlungen veröffentlichen. Sie klären über die Unanwendbarkeit der Regelung hin und übernehmen so die Arbeit, die eigentlich dem Gesetzgeber obliegt.

Erst kürzlich fiel die Bundesregierung auf die Nase, als sie eine Neuerung im Bereich des Beschäftigtendatenschutzes verhandelte. Der wichtigste Grund dafür waren die neuen Vorschriften zur Videoüberwachung. Warum dieser Sachverhalt so schwierig ist, erklärt Schmidt: Die Herausforderung für den Gesetzgeber besteht darin, dass nur unbestimmte Rechtsbegriffe zur Anwendung kommen und ein einziger Blick ins Gesetzbuch die Rechtslage nicht ausreichend darlegt. Immer komme es hier auf den Einzelfall und seine besonderen Umstände an. Jedes Mal wird die verhältnismäßige Beschränkung von Rechtsgütern durchgeführt. Das ist ein Grundproblem des Datenschutzes. Das beste Gesetz wird es nicht lösen können.

Bei diesem Gesetzentwurf habe sie auf eine genauere Lektüre verzichtet, denn in Anbetracht so starker Proteste durch den Deutschen Gewerkschaftsbund und den Arbeitgeberverband ist nicht damit zu rechnen, dass das Gesetz während dieser Legislaturperiode noch verabschiedet wird. Einerseits sind heimliche Videoüberwachungen in manchen Fällen der einzige Weg, um eine Straftat aufzuklären. Andererseits versteht jeder, dass es sehr unangenehm ist, unter ständigem Überwachungsdruck zu leiden. Man muss hier genau auf die Positionierung der Kameras und deren Ausrichtung achtgeben, damit der Arbeitsplatz nicht nach Gutdünken überwacht wird. Alle sehen sich hier deutlichen Anwendungsproblemen gegenüber. Ein Gesetz kann sie zwar nicht lösen, doch Arbeitsgerichte können dieses dann heranziehen, um im Einzelfall Entscheidungen zu treffen. Federführend ist beim Beschäftigtendatenschutz eben nicht das Bundesarbeitsministerium. Arbeitsrechtliche Fragen würden andernfalls sicher etwas anders angegangen werden.  So geschah alles unter Leitung des Bundesinnenministeriums, das nicht so deutlich auf Verständlichkeit achtete und die Interessenlage falsch einschätzte.

Dabei spielt Sensibilität keine Rolle. Viel eher ist es die Einschätzung der Fliehkräfte. Es herrschte die Annahme vor, dass eine Erweiterung der Überwachungsmöglichkeiten durchzusetzen ist, wenn die heimliche Videoüberwachung verboten wird. Das griff natürlicherweise deutlich zu kurz und konnte nicht als Rechtfertigung dienen. Gleichzeitig fand eine Fehleinschätzung des Interessenkonflikts statt. Die Dimensionen sind nicht richtig erkannt worden. Wenn die Verbände aktiv werden und ein Gesetz klar ablehnen, hat der Gesetzgeber im Arbeitsrecht kaum eine Chance.

Nachdem Frau Schmidt über die dauerhafte Erreichbarkeit von Arbeitnehmern und über ein Gesetz zur Vermeidung von Stress gesprochen hat, geht sie nun auch auf die sich häufenden Streitigkeiten wegen Diskriminierung am Arbeitsplatz ein.

Rechtsgebiete wie die Sozialplanabfindungen und Urlaub sind längst durchstrukturiert worden. Im Angesicht des allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes erhalten sie jetzt eine weitere Komponente. Dabei ist das Alter der Beschäftigten eine neue Kenngröße, die sich anbietet: Die deutliche Mehrzahl der Diskriminierungsklagen sind Klagen wegen Altersdiskriminierung. Diskriminierung aus Geschlechtsgründen ist für die Gerichte kaum noch ein Thema, auch wenn es hier noch Klärungsbedarf gibt. Bestimmte Themen sind hier das Lohngleichheitsgebot und Benachteiligungen, die im Kontext einer Beförderung auftreten. Nein – sehr viel wichtiger ist das Alter, wovon ja auch jeder auf seine Weise betroffen ist. Vor allem der Gesetzgeber, doch auch die Betroffenen haben unterschätzt, dass ein Verbot der Altersdiskriminierung eine derartige Sprengkraft bereithält.

Das Bundesarbeitsgericht hat dazu jedoch nicht beigetragen, auch wenn es die Anforderungen an Arbeitgeber verschärft hat. Die Vorgaben der EU sind lediglich in nationales Recht übernommen worden. Es gibt eine Grenze zur Diskriminierung. Sie ist erst dann überschritten, wenn viele Indizien darauf hinweisen, dass der Arbeitgeber das Motiv der Benachteiligung verfolgt. Dabei wird ihm auch nicht zu viel abverlangt, zumal unsere Rechtskultur darauf bestehen darf, dass bestimmte Merkmale eines Menschen nicht dazu herangezogen werden dürfen, jemanden ungerechtfertigt zu benachteiligen. (LB/BHB)


 
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