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Stress am Arbeitsplatz (1)

Ingrid Schmidt als Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts meint, dass der Gesetzgeber Stress am Arbeitsplatz nicht einfach verbieten kann. Lesen Sie, welche Standpunkte sie außerdem vertritt.


Stress am Arbeitsplatz (1)

Es sei nun an der Zeit, Stress im Berufsalltag zum Thema zu machen, gibt Schmidt an. Die Regierung hat allerdings nur eine begrenzte Macht in diesem Kontext: Die Arbeitswelt kann nicht einfach durch eine Verordnung stressfrei werden. Die fehlende Möglichkeit der Objektivierung dieses Themas trage sein übriges bei. Bei Stress handelt es sich in diesem Zusammenhang nämlich darum, dass die seelische und körperliche Belastbarkeit jedes einzelnen Arbeitnehmers beachtet werden müsse.

Jeder Mensch empfindet die an ihn gestellte Anforderung ab einer anderen Intensität als Belastung – Deshalb ist es unmöglich, gesetzliche Vorschriften zu erlassen, die das Problem kurzerhand lösen. Man sehe das bereits am Arbeitszeitgesetz, das schon sehr klare Regelungen aufweist und leicht kontrollierbar ist. Die Einhaltung der Bestimmungen obliegt dabei den Gewerbeaufsichtsämtern. Und dennoch werden nicht wenige überlange Arbeitszeiten nicht geahndet, weil sie schlicht und ergreifend nicht festgestellt werden.

Schon jetzt dürfte es die vielen Überstunden, von denen wir hören, gar nicht geben. Damit sieht Schmidt keine Möglichkeit, dass der einzelne Arbeitnehmer von Stress verschont bleiben wird, nur weil eine „Stress-Verordnung“ etwa den Weg in den Gesetzeskatalog schafft. Beteuert ein Arbeitnehmer die Nützlichkeit einer Anti-Stress-Verordnung dennoch, deutet die dadurch zutage geförderte mentale Stärke doch darauf hin, dass er sich gegen eine übermäßige Inanspruchnahme seitens des Arbeitgebers wehren kann.

Stattdessen sei es wichtig, eine öffentliche Debatte stattfinden zu lassen. Und die Mitarbeiter müssen sich als wehrhaft erweisen, indem sie beispielsweise ein Firmenhandy während der Freizeit kurzerhand abschalten. Andauernde Erreichbarkeit ist immerhin in keinem Arbeitsvertrag festgeschrieben. Ein gerader Rücken, gepaart mit Selbstbewusstsein, ist durch keine Verordnung ersetzbar. Es muss auch etwas von Unternehmensseite her getan werden, wie zum Beispiel, dass die Führungskräfte ihre Freizeit dringend benötigen und sie nicht zur Arbeitszeit verkommen sollte. Eine Änderung im Bewusstsein ist fällig. Sie erzeugt viel mehr positive Wirkung als eine Verordnung zu dem Thema. Nicht zuletzt befinden sich die Betriebsräte schon jetzt in einer einflussreichen Position, die ihr beim Gesundheitsschutz, bei der Anordnung von Überstunden und der Verteilung der Arbeitszeit Mitbestimmungsrechte einräumt. Das ermöglicht es, Betriebsvereinbarungen durchzuführen. Man darf dabei jedoch nicht den extremen Standpunkt verfolgen und der Meinung sein, dass allein die Arbeitsbedingungen psychische Belastungen hervorrufen. Belastungen, die im privaten Bereich entstehen, dürfen nicht aus dem Blickfeld verschwinden.

Schmidt geht auf die Klagewelle von Leiharbeitern ein: Rechtsprobleme im Kontext von Leiharbeit kommen dieser Zeit verstärkt vor. Damit beschäftigen sich nun die Arbeitsgerichte. Es ist den Arbeitnehmern aber nicht zum Nachteil auszulegen, dass sie in einer Zeit, in der die Leiharbeit dereguliert wird, ihre vom Gesetz gegebenen Möglichkeiten ausloten.  Ein aktuelles Problem besteht darin, Schwellenwerten im Arbeitsrecht mithilfe der Leiharbeit die Prägnanz zu nehmen. Dazu gehören solche Tendenzen, nach denen der gesetzliche Kündigungsschutz aufgehoben wird, wenn Kleinbetriebe nur 10 oder weniger Beschäftigte aufweisen. Das Problem wird derzeit vom Bundesarbeitsgericht gelöst, indem man sich auf den Zweck des Schwellenwertes rückbesinnt. Die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts zeige sich eben daher verwundert, weil die Institution kaum mit Kündigungsschutzstreitigkeiten aus dem Bereich der Leiharbeit behelligt wird. Nach geltendem Recht genießt jeder Leiharbeiter einen Kündigungsschutz, der sich von dem eines anderen Arbeitnehmers in keinem Punkt unterscheidet. Die Präsidentin fragt sich, warum es zu Zeiten einer Krise für einen großen Autokonzern möglich sein soll, 3000 Leiharbeiter zu entlassen. Es ist nicht damit zu rechnen, dass eine derart große Anzahl plötzlich arbeitsloser Leiharbeiter prompt anderen Orts Verwendung findet. – Die zu erwartende Klagewelle bleibt hier einfach aus. (LB/BHB)


 
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