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Keine Zinsen in Utopia

Ob die linken Freigeld-Verfechter oder islamische Rechtsgelehrte, für sie alle funktioniert die perfekte Welt ohne Zinsen. Nun können die Kritiker des Kapitalismus in einem Praxistest erleben, ob ihre Vorstellungen umsetzbar sind, denn die Notenbanken der meisten Industriestaaten haben die Zinsen praktisch abgeschafft.


Keine Zinsen in Utopia

Der Feind, gegen die Kapitalismuskritiker kämpfen, heißt Zins. Die Tatsache, dass man durch das Verleihen von Geld noch mehr Geld verdienen kann, empfinden Philosophen, Religionsführer und Ökonomen seit Jahrhunderten als eine große Ungerechtigkeit.

Ein Zinsverbot gab es in der katholischen Kirche bis ins 18. Jahrhundert und noch heute gilt für den Islam ein Verbot für die Berechnung von Zinsen. Als einen Teil des Mehrwertes, den die Kapitalisten sich ungerechtfertigt aneignen, sah Karl Marx den Zins. Es existiert sogar eine komplette Wirtschaftsordnung, die mit der Freigeldtheorie ohne Zinsberechnung auskommen soll. Vor allem in Deutschland gibt es viele Anhänger.

Doch egal ob Religion, Ökonom oder auch die Kritiker des Kapitalismus, alle werden von derselben Idee getrieben: Unsere Welt wird erst dann ein gerechter Ort sein, wenn sich nur durch das Verleihen von Geld ohne körperliche Anstrengungen kein Reichtum mehr erwirtschaften lässt. 

Die Idee als Praxistest im realen Leben

Praktisch wurde der Zins von den beiden größten Wirtschaftsbereichen unserer kapitalistischen Welt bereits abgeschafft. Weder in den USA, noch in Europa lässt sich eine reale Rendite mit risikolosen Geldanlagen, wie unter anderem Sparbücher oder Staatsanleihen, erzielen. Noch unter der 2 Prozent Inflationsrate, die derzeit in der Euro-Zone herrscht, liegt der Zinssatz für Bundesanleihen.

Ebenfalls auf rund zwei Prozent sind auch die Zinsen für Hypothekenkredite in Deutschland gefallen, eine makellose Bonität vorausgesetzt. Wer also plant, sich ein Haus in bester Lage kaufen zu wollen, über ausreichend Eigenkapital verfügt und eine saubere Schufa-Auskunft vorweisen kann, dem bietet sich die Möglichkeit, das Geld für den Kauf zu einem Realzins auf annähernd 0 Prozent zu leihen. Der Realzins ist der Zinssatz der nominal, abzüglich der Inflationsrate erhoben wird.

Selbstverständlich befinden wir uns nicht in dieser Situation, weil irgendjemand beschlossen hat, die Welt gerechter zu machen. Bedingt durch die Finanzkrise versuchen die Notenbanken weltweit alles in ihrer Macht stehende zu tun, damit die Zinsen niedrig gehalten werden. So soll dem stockenden Wirtschaftswachstum in vielen Industriestaaten wieder Leben eingehaucht werden. Mit diesem Vorgehen schaffen die Notenbanken jedoch einen Zustand, der dem Ideal der Zinskritiker sehr ähnelt.

Die islamische Wirtschaftslehre sieht vor: Derjenige, der Geld verleiht, muss auch das Risiko mit tragen. Zwar kann er seinen Anteil am Gewinn einfordern, der mit dem geliehenen Geld erzielt wurde, aber er muss auch die Verluste mit tragen. Praktisch ist es genau das, was aktuell passiert. Wer mit seinem Geld reale Renditen erzielen will, kann das nur noch mit Anlagen, die ein erhebliches Risiko bergen. So zum Beispiel bei Aktien, der Kurse steigen, aber auch ins bodenlose fallen können. Oder wenn man Geld verleiht und der Schuldner, wie unter anderem Griechenland, nicht in der Lage ist, dies zurückzuzahlen.

Um 1900 wurde von dem Sozialreformer Silvio Gesell ein komplettes Wirtschaftssystem entworfen, das komplett ohne Zinsen auskommt. Im Gegenteil: Gehortete Geldbeträge sollen nach Gesell ständig dem Wertverlust unterliegen. Diesen Anspruch erfüllt heutzutage jedes Sparbuch. Gesells Idee war, den Kapitalismus gerechter zu machen, in dem die Menschen zum Ausgeben des Geldes gezwungen werden, um so auch Krisen zu verhindern. 

Leben wir jetzt in einer besseren Welt?

Die reichen Nichtstuer, die von den Erträgen, die ihr Vermögen einbringt, in den Tag hinein leben, sind vom Aussterben bedroht. Diejenigen, die auch in Zukunft aus ihrem Geld noch mehr Geld machen wollen, müssen Zeit und Arbeit investieren, um ihr Geld in rentablen Projekten unterzubringen. Nach diesem Prinzip werden die fleißigen und klugen Reichen belohnt, die anderen, faulen und unwissenden, bestraft.

Aber auch unter den Normalbürgern gibt es diejenigen, die eher einfach gestrickt sind und lediglich jeden Monat etwas sparen möchten. Diese Personen werden es schwer haben, denn nun sollen sie sich auf einmal für die Finanzmärkte und deren Vorgänge interessieren, wenn sie nicht Gefahr laufen wollen, ihre Ersparnisse zu verlieren.

Dahingegen müssten diejenigen, die sich Geld leihen wollen, es aufgrund der niedrigen Zinsen relativ einfach haben. In der Realität sieht es aber auch hier etwas anders aus. Wer einwandfreie Sicherheiten vorweist und aus einem stabilen Land kommt, der bekommt das Geld quasi zum Null-Tarif. So unter anderem ein Deutscher, der ein Haus bauen will.

Handelt es sich jedoch um einen Mittelständler, der sein Unternehmen in Griechenland betreibt, wird er von den niedrigen Zinsen nichts merken. Der Unternehmer hat die gleichen Schwierigkeiten, wie vor dem Eingreifen der Notenbanken, an Kapital heranzukommen, denn den Banken ist das Risiko, ihm Geld zu leihen, zu hoch.

Gerechtigkeit sieht anders aus. Dennoch werden mit dem aktuellen „Praxistest“ auch die utopischen Ideen der Kritiker, die vom Ende der Zinsen träumen, auf den Boden der Realität zurück geholt. (DR/BHB)


 
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