Julius Schnieber, der jahrelang einen Getränkehandel geführt hat, betreut seit Mai 2012 in einem umgebauten Ladenlokal drei Kinder als Tagesvater. Die Kinder sind zwischen 8 Monaten und eineinhalb Jahren alt. Laut Schnieber habe er sein Einfühlungsvermögen in eine Kinderseele entdeckt und hat so bei einem freien Träger eine 160-Stunden-Ausbildung absolviert.
Die Kommunen in Deutschland setzen auf Leute wie Julius Schnieber. Rund 2100 Kinder werden derzeit in Köln durch Tagesmütter und Tagesväter betreut, Tendenz steigend. Für die Kölner Bildungsdezernentin Agnes Klein ist auf diese Weise, zumindestens vom rechtlichen Standpunkt ausgesehen, so der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz durch die Plätze bei den Tagesmüttern erfüllt.
Der Mangel an Betreuern wächst
Auch in vielen anderen Städten wird mehr und mehr auf Tagesmütter und Tagesväter gesetzt. Am 01. August diesen Jahres tritt der Rechtsanspruch für Ein- bis Dreijährige auf einen Betreuungsplatz in Kraft. Die Zeit drängt.
Die TU Dortmund gab bekannt, dass im März 2012 gerade mal 27,6 Prozent aller Kinder unter drei Jahren durch eine Krippe oder eine Tagesmutter betreut wurden. Innerhalb von eineinhalb Jahren müssten die Zahlen der zur Verfügung stehenden Betreuungsplätze um knapp die Hälfte steigen. Um dieses Ziel erreichen zu können, werden bei der Qualifikation der Mitarbeiter von den Ländern und Kommunen beide Augen zugedrückt.
Um 12 Prozent ist die Zahl der Tagesmütter und Tagesväter in den letzten drei Jahren angestiegen. Es werden auch in den Kitas immer häufiger Mitarbeiter eingestellt, die nur eine vereinfachte Ausbildung vorweisen können oder vollkommen fachfremd sind. Die Zahl dieser Mitarbeiter belief sich bereits vor einem Jahr auf knapp 20.000.
Erzieherinnen aus Pflegeberufen
So dürfen Hebammen, Krankenschwestern und auch Krankengymnasten in Baden-Württemberg ab sofort auch als Betreuer in Kitas arbeiten. Andere Bundesländer, wie Niedersachsen und auch Hamburg, setzen auf eine abgespeckte Version der Erzieherausbildung und bilden Kinderpfleger und sozialpädagogische Assistenten aus. Einzige Voraussetzung: ein Hauptschulabschluss.
Thomas Rauschenbach, Direktor des Deutschen Jugendinstituts (DJI), ist davon überzeugt, dass Deutschland eigentlich das genaue Gegenteil braucht und fordert als Standard ein Hochschulstudium für Erzieher.
Hochschulabschluss bei gerade mal 1500 Erziehern
Seit 2004 wurden rund 128.000 Personen als Erzieher ausgebildet, nur rund 1500 Erzieher haben einen Hochschulabschluss.
Zu den wenigen Städten mit mehreren Studienangeboten für Erzieher gehört auch Berlin. An der Alice Salomon Hochschule in Hellersdorf geht ungefähr jeder zweite Absolvent des Bachelor-Studienganges "Erziehung und Bildung im Kindesalter" im Anschluss einer Tätigkeit in einer Kita nach, so die Professorin Susanne Viernickel.
Eine bessere Ausbildung bedeutet nicht ein besseres Gehalt
Eine finanzielle Motivation, den Beruf als Erzieher mit einer qualifizierten Ausbildung zu beginnen, gibt es nicht. Durch die Tarif-Ordnung im öffentlichen Dienst wird der Verdienst an der ausgeübten Tätigkeit und nicht an der Qualifikation gemessen, so Viernickel weiter. Sollte mehr Wert auf akademische Fachkräfte in diesen Bereichen gelegt werden, dann müssten sich diese Umstände ändern.
Durchschnittlich 1.800 Euro brutto im Monat verdient eine Gruppenleiterin, die Ausbildung ist dabei unerheblich. Aus diesem Grund fordert DJI-Direktor Rauschenbach, dass kirchliche und private Träger und Kommunen qualifiziertes Personal angemessen entlohnen. Für die kommenden Jahre würde er sich eine Angleichung der Entlohnung an die Lehrkräfte im Grundschulwesen wünschen.
Die kommunalen Spitzenverbände wären für eine solche Erhöhung zuständig. Doch aktuell fordert der Deutsche Städte- und Gemeindebund, die Gruppen in den Kitas einfach zu vergrößern. Mehr Kinder, bei weniger Erziehern. Hauptsache der Rechtsanspruch wird erfüllt.
Köln setzt auf Betreuungsplätze bei Tagesmüttern
Geht es nach dem Städtebund-Chef Gerd Landsberg, dann sollten die Kommunen in der Zukunft ihr Augenmerk noch stärker auf den Bereich der Tagesmütter legen. Die Begründung: Tagesmütter sind günstiger und schneller auszubilden. Für Köln ist das erklärte Ziel nahezu jeden dritten Betreuungsplatz, für ein Kind unter drei Jahren, bei einer Tagesmutter anzubieten.
Für Julius Schnieber ist die Sache eigentlich ganz klar. Nach seiner Ansicht braucht man für die Arbeit mit Kindern in erster Linie Gefühl und nicht den Kopf, ein Studium sei keine Garantie für eine qualitativ hochwertige Kinderbetreuung. (NS/BHB)