Die Welt könnte so schön sein, wenn Milton Friedman doch nur Recht behalten hätte. Milton Friedman, der heute als Vordenker des Neoliberalismus gilt, war fest beseelt von der Idee, dass eine Entfesselung des Finanzsystems die westliche Welt in eine so noch nie dagewesene andauernde Phase des Wohlstands kapitulieren würde. Leider hatte Friedman jedoch auf ganzer Ebene unrecht. Wie Thomas Fricke im ersten Teil seines Buches darlegt, haben sich Friedmans Versprechungen in ihr exaktes Gegenteil verwandelt. Auch für Leser, die bereits mit der Grundthematik vertraut sind, bietet Fricke dabei stets ein paar interessante und durchaus nicht marktkonforme Gedankengänge, die man nicht unbedingt jeden Tag in der Zeitung liest, die aber dennoch auf der Hand liegen.
Die Märkte, die Fricke beschriebt, sind weder effizient, noch selbstregulierend oder gar allwissend. Stattdessen seien sie vom Herdentrieb und prozyklischem Verhalten charakterisiert. Wohltuend in Frickes Analyse ist, dass seine Kritik nicht an der Oberfläche bleibt und das menschliche Versagen einiger Finanzhasardeure oder gar die Gier als Hauptverantwortliche an den Pranger stellt, wie es andere Analysten gerne tun. Frickes Kritik trifft den Glauben an effiziente Finanzmärkte und das „Schwäbische-Hausfrauen-Theorem“ (Fricke) vielmehr im Kern.
Auch hier ist nach 30 Jahren der Saldo für uns alle wohl negativ: Ohne Finanzglobalisierung wäre seit den 80er Jahren mehr und sinnvoller investiert worden, nicht weniger und in Potemkinsche Dörfer. Ohne die immer grotesker hochgeschraubten Renditen auf Finanzanlagen wäre mangels Alternative mehr Geld in vernünftigere Investitionen geflossen. Das hätte mehr Arbeitsplätze und Wachstum geschaffen, und es gäbe weniger Arbeitslose. (…)
Es braucht schon eine Portion Urvertrauen in die magischen Heilungs- und Steuerungskräfte freier Märkte, um all das nach 30 Jahren Finanzglobalisierung trotzdem noch sinnvoll im Sinne aller zu finden.
Thomas Fricke – „Wie viel Bank braucht der Mensch?“
Wie der Titel des Buches bereits suggeriert, belässt es Fricke jedoch nicht bei der Analyse, sondern formuliert im zweiten Teil des Buches eine Reihe von Punkten, anhand derer die Gesellschaft die Märkte wieder an die Kette legen kann und die Banken auf ihre eigentliche Funktion zu reduzieren – nämlich, der Gesellschaft zu dienen. Das hört sich gut an, nur wie lässt sich dies bewerkstelligen?
Aufbauend auf seiner Analyse des status quo unterzieht der Autor zahlreiche Vorschläge für eine Finanzmarktreform seinem eigenen Stresstest. Auch hierbei ist es sehr erfreulich, dass Fricke sich nicht vom Mainstream treiben lässt und zahlreichen populären Vorschlägen, wie der Boni-Regelung für Banker, die Luft herauslässt.
Es sollte eher darum gehen, die Grundlogik zu brechen und dafür zu sorgen, dass erst gar nicht solche irren Summen entstehen können. Dann verschwände auch die Basis dafür, so ungewöhnliche Boni zahlen zu können. Die Sonderzahlungen gesetzlich zu begrenzen, kommt eher einem Kurieren an Symptomen gleich.
Thomas Fricke – „Wie viel Bank braucht der Mensch?“
Das hört sich alles schneidig an und stimmt ja auch. Leider verliert der Autor jedoch einen Teil seines Schneids, wenn es darum geht, konkrete Maßnahmen für eine Finanzmarktregulierung auf den Tisch zu legen. Neben ein paar „hilfreichen“ Reformen, wie beispielsweise dem „auf Maß stutzen“ der Ratingagenturen formuliert Thomas Fricke fünf notwendige Reformziele …
A. die Ausschläge des Herdentriebs spürbar dämpfen;
B. den Kräften der gefährlichen Prozyklik entgegenwirken und sie umkehren;
C. das unverhältnismäßig hohe Renditepotenzial von Finanzanlagen senken, um die Geldströme so in die Realwelt umzuleiten;
D. die enormen Gefälle bei Einkommen und Vermögen abbauen helfen – was zu soliderem Wachstum führt;
E. und Mittel für die Realwirtschaft frei machen, die bisher in der Sphäre der Finanzzauberei gebunden waren.
… aus denen er ein „5+ Säulenmodell“ zur Finanzmarktreform herleitet:
- Eine Finanztransaktionssteuer als Grundausstattung, um Wogen und Treiben an den Märkten zu bremsen.
- Ein neues Weltwährungssystem, das die guten wie schlechten Erfahrungen der Nachkriegszeit berücksichtigt.
- Ein Stoppmechanismus für Exzesse beim Handel mit Staatsanleihen – nach dem Leitmotto: Mit Demokratie spielt man nicht.
- Ein Kapriolenschutz für Rohstoffmärkte – nach dem Grundsatz: Mit Essen spielt man auch nicht.
- Und vor allem ein System automatischer Korrekturen als Mittel gegen gefährliche Euphorie- und Panikattacken – und Ersatz für die fehlende stabilisierende Spekulation.
- 5+: Dazu eine Bonusreform für Geldhändler – zur Sicherheit.
Gegen keine dieser Säulen ist dabei etwas einzuwenden und es wäre sicher bereits ein sehr großer Schritt, sollte – rein hypothetisch – ein solches Modell dereinst verabschiedet werden. Unverständlich ist jedoch, warum den Autor bei seinem Säulenmodell plötzlich der Mut verlässt. So geht Fricke beispielsweise überhaupt nicht auf die nicht eben unwichtige Frage ein, ob Banken denn überhaupt in Privatbesitz verbleiben sollten oder es – nicht zuletzt als Lehre aus den vergangenen Krisen – nicht vielleicht sinnvoller sei, das klassische Banking, also die Vermittlung von Spareinlagen an Kreditnehmer aus der Realwirtschaft, zu einer öffentlichen Aufgabe zu machen. Denn dort wo Profit- und Renditestreben im Finanzsystem fortexistieren, werden sie auch immer einen Weg finden, sich von den regulatorischen Fesseln zu befreien.
Daher sollte auch die von Thomas Fricke lediglich als „hilfreiche Reform“ bezeichnete Trennung zwischen Investment- und Geschäftsbanken mehr Beachtung finden. Eine der wichtigsten Ursachen der letzten Krisen, das schreibt auch Fricke, war schließlich die enorme Hebelung (Leverage) von Eigen- durch Fremdkapital. Wer diese Hebelung entschärfen will, befindet sich jedoch schnell in einem Dilemma wieder, da ein generelles „Deleveraging“ auch die Kreditvergabe an die Realwirtschaft treffen würde. Fricke schlägt daher variable Eigenkapitalquoten vor, mit denen die „gute“ Kreditvergabe attraktiver gemacht werden soll.
Doch warum so kompliziert? Was spricht gegen eine klare Zweiteilung des Bankensystems? Auf der einen Seite die kleinen, öffentlichen Geschäftsbanken, die Kundeneinlagen entgegennehmen dürfen und die Wirtschaft mit Krediten versorgen. Diese Geschäftsbanken kämen mit einer vergleichsweise geringen Eigenkapitalquote zurecht und hätten zudem – als einzige Banken im System – Zugriff auf das Kreditfenster der Notenbanken. Auf der anderen Seite gäbe es dann die Investmentbanken, die unter Einhaltung Frickes 5+Säulenmodells mit „Finanzinnovationen“ spekulieren dürfen, dafür aber eine Eigenkapitalquote von 100% vorhalten müssten und keinen Zugriff auf Mittel der Notenbank haben. Selbstredend müssen beide Sektoren streng voneinander getrennt werden, eine Kreditvergabe von Geschäfts- an Investmentbanken muss verboten sein. Mit einem solchen – sicherlich sehr ambitionierten – Modell wäre es selbst den Houdinis von der Wall Street nicht möglich, einen neuen, destruktiven Finanzkapitalismus zu entfesseln.
Auch wenn man sich im zweiten Teil des Buches stellenweise wünscht, der Autor hätte mehr „Cojones“, so ist dies keine grundlegende Kritik am Buch. Man muss schließlich realistisch bleiben. Was nutzen die besten Gedanken, wenn sie sich politisch nicht umsetzen lassen? Frickes 5+-Säulenmodell hat den großen Vorteil, dass es sich ohne weiteres umsetzen ließe, wenn – ja wenn – der politische Willen vorhanden wäre. Was Thomas Fricke vorschlägt, ist keine finanzesoterische Spinnerei, kein Tagtraum, sondern eine fundierte ökonomische Alternative, keine Revolution, sondern eine Evolution.
Sollten Sie also in diesem Jahr mal keine Lust darauf haben, seichte Krimis oder Historienromane mit in den Sommerurlaub zu nehmen, wäre „Wie viel Bank braucht der Mensch?“ sicher eine gute Wahl. Es wäre jedoch von Vorteil, wenn Sie dabei bereits über Grundkenntnisse der Materie verfügen. Fricke schreibt unterhaltsam und kompakt, mit langen Einführungen ins Thema gibt er sich jedoch nicht ab. Für Interessierte ist dies ein großer Vorteil, da man schnell zum Wesentlichen durchdringt. Einsteiger dürften jedoch mit einigen Analysen überfordert sein.
Hinweis: Dieser Artikel spiegelt ausschließlich die persönliche Meinung des Autors wieder.