Die nächsten Tage werden eine Entscheidung bringen, ob die Lebensversicherung, -Deutschlands mit Abstand bedeutendstes Vorsorgeprodukt-, massiv an Attraktivität verlieren wird. Seit geraumer Zeit herrscht ein grotesker Streit, bei dem es um rund 3 Milliarden Euro geht und die Klärung, wer Anspruch auf dieses Geld hat. Dabei scheiden sich die Geister, ob das Geld den ungefähr 4,5 Millionen Versicherungskunden zusteht, deren Vertrag im Jahr 2012 ausgelaufen ist oder gekündigt wurde, oder steht das Geld den 85 Millionen Vertragskunden zu, deren Laufzeit sich noch auf die nächsten Jahre oder sogar Jahrzehnte erstreckt. Nun stehen die Versicherer und die Finanzaufsicht auf einer Seite gegen die Grünen und die Verbraucherschützer auf der anderen Seite.
Zwischen den Fronten steht der Vermittlungsausschuss des Bundestages und Bundesrates, der für den 26. Februar ein Treffen angesetzt hat.
Der Ärger mit den Bewertungsreserven
Der ganze Streit dreht sich ausschließlich um die Bewertungsreserven der Versicherer. Bewertungsreserven entstehen, wenn die Versicherer Aktien zu einem Stückpreis von 20 kaufen und zum Ende des Jahres dann mit 30 Euro an der Börse gehandelt wird. In diesem Fall würde die Bewertungsreserve 10 Euro je Aktie betragen.
Dieser sogenannte Buchgewinn soll unter anderem auch den Versicherungskunden zugutekommen, deren Vertrag in dem laufenden Jahr ausgelaufen ist oder auch gekündigt wurde. Darüber hinaus soll er auch den anderen Kunden, deren Verträge noch über einen längeren Zeitraum laufen, eine gewisse Rendite sichern. Diese Forderung wurde seinerzeit von den Verbraucherschützern gestellt, vom Verfassungsgericht bestätigt und im Jahr 2008 durch den Gesetzgeber beschlossen. Nur wurden in der Umsetzung, entgegen dem Expertenrat, auch die Bewertungsreserven auf Anleihen mit im Gesetz verankert.
Im Gegensatz zu Aktien und anderen Beteiligungen verfügen Anleihen über einen festen Anfangswert und einen festen Endwert, die identisch sind. Die Börsenkurse fallen und steigen mit der Entwicklung der Zinssätze. Solange die Versicherer im Besitz der Schuldtitel bis zum Ende der Laufzeit sind, handelt es sich bei diesen Gewinnen um Scheinreserven.
Derzeit sind die Summen der Scheinreserven extrem hoch. Aufgrund der Euro- und Finanzkrise befinden sich die Kapitalmarktzinsen auf einem historischen Tiefpunkt, wodurch die älteren Anleihen, die einen höheren Zinssatz haben, extrem teuer geworden sind und so zu den hohen Scheinreserven in den Bilanzen der Versicherer geführt haben.
Die Problematik liegt im Gesetzestext
Mit einigen Zahlen kann die Problematik verdeutlicht werden: Aktuell erhält jeder, der der Bundesrepublik Geld für zehn Jahre leiht, 1,65 Prozent Zinsen jährlich. Damit könnte noch nicht einmal das derzeitige Garantieversprechen der Versicherer von 1,75 Prozent abgedeckt werden. Von dem durchschnittlichen Garantieversprechen, das sich auf rund 90 Millionen Verträge bezieht und sich auf ungefähr 3,2 Prozent beläuft, ist gar nicht zu reden. Die Versicherer können diese Garantien nur geben, weil sie im Besitz dieser alten, höher verzinsten Titel sind. Nun sollen rund 5 Prozent der Kunden in den Genuss der Scheinreserven kommen, während 95 Prozent der Versicherungskunden dementsprechend leer ausgehen würden.
Wie sich das Gesetz von 2008 aktuell auswirken könnte, wird durch die Schätzung der Lobby der Versicherungen verdeutlicht: Kommt es zu der Ausschüttung der 3 Milliarden Euro, werden sich die Erträge der verbleidenden 95 Prozent noch laufender Verträge, die den Versicherten für 2012 über die Garantieverzinsung hinaus noch zustehen, um 60 Prozent reduzieren. Damit sinkt die Rendite von rund 4 Prozent auf 3,5 Prozent. Für die Versicherungskonzerne steht das Gesetz in einem krassen Gegensatz zu der Gerechtigkeit innerhalb der Gemeinschaft von Versicherten.
Gesellschaften, die bei der Geldanlage nicht so clever agiert haben, sehen existenzielle Probleme auf sich zukommen. Irgendwann wird der Punkt erreicht sein, an dem die Garantieversprechen nicht mehr geleistet werden können und die Unternehmen gehen in die Pleite. In einem solchen Fall würden bestehende Verträge zur Last aller anderen Gesellschaften gehen, was wiederum die Verzinsung für alle anderen Verträge bedeuten würde. Gerade aus diesem Grund wird vonseiten der Finanzaufsicht auf eine Gesetzesänderung gedrängt.
Was in den Medien, dank der Verbraucherschützer und den Grünen, immer wieder falsch publiziert wird, ist die angebliche Verschiebung der Bewertungsreserven weg von den Renditen der Versicherten hin zum Gewinn der Versicherungsgesellschaften. (FR/BHB)