Warum die Zentralbanker die Deflation fürchten
Die Europäische Zentralbank setzt auf Wachstum und spricht erst bei einer Inflationsrate von etwa zwei Prozent von stabilen Preisen. Weil die Teuerungsrate mit minus 0,6 Prozent weit von den selbst gesteckten Zielen entfernt ist, geht in Kreisen der Zentralbanker das Gespenst der Deflation um. Notenbanker denken dabei jedoch nicht wie normale Konsumenten; denen gefällt die niedrige Teuerungsrate, weil sie mit ihren Einkommen mehr Konsumgüter erwerben können.
Die EZB unterstellt den Verbrauchern, dass sie bei einer Deflation weniger konsumierten, weil sie auf noch günstigere Preise spekulierten. Die Konsumzurückhaltung würde produzierende Unternehmen in Bedrängnis bringen, Lohnkürzungen oder sogar Entlassungen wären unvermeidbar. Wir haben die Deflation aus Sicht der EZB schon mehrmals dargestellt, doch die Stimmen der Kritiker werden lauter, sie stellen dieses Szenario und den damit einhergehenden Euro-Verfall zunehmend infrage.
Wachstum auch in einer Deflation möglich
Internationale Statistiken aus 30 Ländern über einen Zeitraum von 100 Jahren beweisen, dass Wachstum in einer Inflation ebenso möglich ist wie in einer Deflation. Die Wachstumssorgen alleine können die EZB nicht zur Demontage der Gemeinschaftswährung und zum äußerst umstrittenen Anleihen-Ankaufprogramm bewegt haben.
Vielleicht sollten die Entscheidungsträger ihren Wissensstand bezüglich Deflation auffrischen, denn deflationäres Umfeld war gerade im Europa der letzten Jahre immer wieder die treibende Kraft für Wirtschaftswachstum. Wenn die Zentralbanker die Ursachen, welche zur Deflation führen, verstehen könnten, wären sie am Kampf gegen den Preisverfall kaum noch interessiert.
Der Ölpreis als Auslöser
Der von Zentralbankern registrierte Preisverfall ist nichts anderes als eine gedämpfte Inflation. An dieser Situation ist der rasant gefallene Ölpreis schuld, und der wiederum bedeutet eine Riesenchance für die europäischen Industrienationen. Das böse Erwachen kommt allerdings, wenn die Energiepreise wieder anziehen und dann mit einem vorsätzlich geschwächten Euro zu bezahlen sind.
Kritik an der EZB
Die Angst vor der Deflation ist von den Währungshütern nur vorgeschoben. Nach Ansicht vieler namhafter Kritiker gibt es in der Eurozone keine deflationäre Entwicklung, sondern nur einen Anschub der Konjunktur durch drastisch gesunkene Ölpreise.
Zu den Verfechtern dieser These gehört auch Hans Peter Sinn, der Präsident des deutschen IFO-Instituts. Er kritisiert die anhaltende Euro-Demontage durch wenig sinnvolle Ankäufe von Staatsanleihen und hält die dazu abgegebenen Gründe für Augenwischerei der EZB. Seinen Worten nach ist die aktuelle Deflationsangst vollkommen unbegründet, die Konjunkturankurbelung durch das derzeit billige Öl muss nicht bekämpft werden.