Während das Reich der Mitte schon länger ein schwächelndes Wachstum verzeichnet, erlebt Indien gerade einen Wachstumsschub. Erstmals seit Jahrzehnten könnte die Wirtschaft auf dem Subkontinent in diesem Jahr stärker wachsen als in China. Der IWF hält ein Zunahme der indischen Wirtschaftsleistung von 7,5 Prozent in 2015 für realistisch. Die Volksrepublik dürfte dagegen erhebliche Probleme haben, die angepeilten 7 Prozent überhaupt zu erreichen.
Indien überholt China beim Wachstum
Dennoch wäre es sicher verfrüht, davon zu sprechen, dass Indien seinem nördlichen Rivalen den Rang abläuft. Zu unterschiedlich sind Ausgangsniveau, Voraussetzungen und Strukturen in beiden Riesenländern mit ihrer Milliardenbevölkerung. Was die Zahl der Menschen betrifft, wird Indien allerdings eindeutig die Nase vorn haben. Heute liegen beide Staaten mit jeweils rund 1,3 Milliarden Einwohnern fast gleichauf - mit einem kleinen Vorsprung für China. Doch Indiens Bevölkerung wächst schneller. Bis zur Jahrhundertmitte sollen es schätzungsweise 1,7 Milliarden Inder sein.
Aber sehr unterschiedliche Niveaus
Ob dies Fluch oder Segen ist, darüber lässt sich streiten. Ein hoher Anteil junger Menschen an der Bevölkerung geht oft mit einer starken wirtschaftlichen Dynamik einher. Doch will diese riesige Zahl an Indern auch erst einmal ernährt und versorgt sein. Mehr Menschen schaffen nicht automatisch mehr Wohlstand. Im Gegenteil - oft bedeutet dies zunächst einmal eine Verschärfung sozialer Konflikte und härtere Verteilungskämpfe.
In seiner Wirtschaftsleistung liegt Indien heute immer noch deutlich unter dem chinesischen Niveau. Bewegt sich das Pro-Kopf-Einkommen in China 2015 nach IWF-Schätzungen bei umgerechnet 7.300 Euro, sind es auf dem Subkontinent lediglich 1.600 Euro - ein Bruchteil. Es wird noch viel Wachstum erforderlich sein, um diesen Abstand zu verringern.
Strukturelle indische Probleme
Es gibt darüber hinaus strukturelle Probleme, die das Land überwinden muss:
- die riesige Kluft zwischen Arm und Reich. Immer noch leiden sehr viele Inder unter extremer Armut;
- der nach wie vor hohe Anteil traditioneller Landwirtschaft an der Wirtschaftsleistung. Er macht rund ein Siebtel aus;
- ein hohes Maß an Dezentralität - einerseits ein Muss in einem Land mit diesen Dimensionen, andererseits ein Hemmnis für systematische Entwicklung.
Gegenseitige Abhängigkeit
Es wäre deshalb verfehlt, trotz unbestreitbarer Erfolge des neuen indischen Ministerpräsidenten Modi, in dem Subkontinent eine China-Alternative zu sehen. Das gilt nicht zuletzt auch, da erhebliche gegenseitige wirtschaftliche Abhängigkeiten bestehen. Wenn ein Riesenreich schwächelt, bleibt dies dauerhaft nicht ohne Auswirkungen beim Nachbarn.