Zahlreiche Deutsche sind nicht einmal in der Lage, Zinsen zu berechnen, von einem echten Überblick über ihre Finanzen ganz zu schweigen.
Financial (Il)literacy: Denn sie wissen nicht, was sie tun
Negative Realzinsen halten die Deutschen nicht davon ab, sich mehrheitlich für Kaufkraftverluste nach Inflationsabzug und gegen mögliche Gewinne am Aktienmarkt zu entscheiden. Entscheidungen nach Bauchgefühl, wo Finanzwissen-Basics fehlen: Wo liegt der Zinsgewinn nach einem Jahr, wenn ich 100 Euro zu 2 Prozent anlege? Eine Aufgabe, die die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung einer repräsentativen Auswahl europäischer Bürger stellte: In Deutschland lagen stolze 36 Prozent falsch. Ein Armutszeugnis, was Financial Literacy bzw. Finanzwissen angeht.
Dabei dreht sich in Deutschland rund um die Uhr alles ums Geld - von Kredit über Anleihen bis Lebensversicherung. Auch Wahrscheinlichkeiten einzuschätzen macht Mühe, wie eine andere Frage zeigt, die Risikoforscher Gerd Gigerenzer vom Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung Durchschnittsbürgern stellte: Bedeutet eine Regenwahrscheinlichkeit von 30 Prozent, dass es regnen wird? Nein, es regnet nicht 30 Prozent der Zeit oder in 30 Prozent von Berlin, sondern der Regenschirm kann wahrscheinlich zu Hause bleiben - was nur 30 Prozent der Befragten richtig erkannten. Leider gehen Fehler finanzbezogener Risikoeinschätzung richtig ins Geld: Trotz üppigem Gehalt schreibt das Konto rote Zahlen, die teure Lebensversicherung schmerzt. Trotzdem scheut die Mehrheit der Deutschen die lästige Mühe, sich mit den Risiken und Chancen von Finanzprodukten auseinanderzusetzen.
Auf Augenhöhe mitreden? Finanzwissen ausbauen
Beim Strukturieren von Finanzen das gleiche Bild: Über zehn Prozent der OECD-Testkandidaten versagten bei einfacher Bruchrechnung wie "Fünf Brüder erben 1000 Euro zu gleichen Teilen - wie viel bekommt jeder?" Wie Gigerenzer beobachtet, gelten Finanzfragen als langweiliger Smalltalkstoff - das überlässt man Experten und vertraut dem Bankberater wie seinem Leibarzt. Wer langfristige Entscheidungen aus Bequemlichkeit delegiert, trägt die (Lehman-)Konsequenzen.
Allerdings hat das Vertrauen seit der Krise gelitten: Laut Deutschem Aktieninstitut fühlen sich nur 27 Prozent der Privatanleger durch ihren Bankberater zuverlässig informiert. Es hilft nichts, Privatanleger müssen ihr eigenes Finanzwissen ausbauen, wo Bankberater bei Anlageempfehlungen weniger auf Kundenbedürfnisse als auf Maximalprovisionen schielen. Wer einfache Zinsrechnung beherrscht und als Kunde mit Finanzwissen keine Angst vor Detailfragen hat, geht besser vorbereitet Beratungsgespräche.
Dabei reicht es für eine angemessene Risikoeinschätzung und persönliche Bilanzaufstellung, grundlegende mathematische Zusammenhänge zu verstehen. Kompetenz in Zins- bzw. Bruch- und Prozentrechnung testen? Mit dem Finanzwissen-Fragebogen der Frankfurter Goethe-Universität. Wie sind Passiva und Aktiva, also Verbindlichkeiten wie Immobilienkredite und eigenes Vermögen aufgestellt. Welches Humankapital - die eigenen Fähigkeiten - lässt sich gegen Bezahlung investieren? Nur wo Humankapital wächst, können zukünftige Schulden bezahlt werden - ein Mechanismus, den Finanzfachleute Hebel nennen. Risikokompetenz schließlich ist das Finanzwissen, dass Finanztransaktionen wie Aktienkäufe auch Verlustrisiken bergen: Je stärker die Kursschwankungen, desto größer das Risiko.
Keine Angst vor Aktien
Wahrscheinlichkeiten am Aktienmarkt können nur auf Erfahrungsbasis geschätzt, nicht exakt berechnet werden. Denn Parameter wie zu erwartende Gewinne von Aktiengesellschaften sind unbekannt, so dass auch vermeintliche Profi-Prognosen auf Basis von Analysemodellen fehleranfällig sind. Doch wie erkennt man grobe Tendenzen? Heuristiken, also Finanzwissen-Leitsätze, reduzieren komplexe Börsenzusammenhänge auf einfache Regeln. Wer Anlagen breit streut, sprich in unterschiedliche Anlageformen wie Aktien, Anleihen und Immobilien investiert, hält das Gesamtrisiko im Depot niedrig. Wer Anlagen wie Investmentfonds maximal günstig einkauft, kalkuliert ihre ungewisse Wertentwicklung - auch bei beeindruckenden vergangenen Erfolgen - mit ein. Können Laien also Börsenprofis überflügeln? Im Gegenteil - sie müssen es gar nicht!
Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahnemann bewies, dass zahlreiche Fondsmanager in puncto Finanzwissen einer Kompetenzillusion erliegen. Schneiden sie besser ab als der Rest, lassen sie trotzdem Kompetenz vermissen, denn ihr Erfolg hält nicht an. Europa und die USA liefern kaum Beispiele von Managern, die den Markt über Jahre schlagen konnten. Kurzfristige Schwankungen? Vorübergehende Verluste? Das sollte Laien mit solidem Basis-Finanzwissen nicht schrecken - sie entscheiden sich damit für langfristige Gewinne statt Kaufkraftverluste durch Sichteinlagen und Bargeld. Financial Literacy heißt, kluge Finanzentscheidungen zu treffen und Anlageentscheidungen strukturiert anzugehen. Denn Lernen per Trial and Error kann hier teuer werden. Aber fürs Erste genügt es, einfach rechnen zu lernen - und ein Gespür für Gewinnwahrscheinlichkeiten zu entwickeln.